Samstag, 14. April 2012

DER FAHRENDE RITTER



Mit Ach und Schach, oder: Es irrt der Mensch, solang er strebt. Vor einem Jahr habe ich in der DMSG-Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel „Rook`n Rolli“ veröffentlicht, einen Bericht über das erste Schachturnier, an dem ich teilgenommen habe. „Rook“ ist der Turm auf Englisch, „Rolli“ ist mein Rollstuhl, mit dem ich bei solchen Veranstaltungen unterwegs bin. Jetzt war es wieder so weit, der fahrende Ritter zog aus zu neuen Abenteuern. Ich nahm wieder am D-Turnier der saarländischen Einzelmeisterschaft teil, und zu meiner großen Überraschung und Freude, ich habe gewonnen, mit Urkunde und Pokal. Das Kuvert mit dem Preisgeld habe ich meiner Frau geschenkt, sie muß mich schließlich ertragen, wenn ich in anderen Sphären schwebe. Das D-Turnier ist das Schlachtfeld der minderen Brüder, der Einstieg in die Welt des Turnierschachs, hier wird es ernst. Wenn man Schachspielen gelernt hat, verknüpft man zuerst mal in der Kindheit erworbene Tugenden mit einem Regelwerk, das zuerst einfach erscheint: Man muß sich was einfallen lassen, wenn man dem Gegner beikommen will. Die Bemühungen, Umsicht walten zu lassen und den Überblick zu behalten, ähneln dem Topfschlagen oder auch dem „Blinde-Kuh“-Spiel. Wird es brenzlig, versucht man, sich mit der Eleganz des Sackhüpfens aus der Affäre zu ziehen. Das Ende der Partie erreicht dann schon höchstes Niveau: Es gibt einen Sieger nebst Verlierer, oder ein Remis. Mehr kann auch der Weltmeister nicht herausholen, er erkennt nur früher als der Neuling, wo der Hase hinläuft, nicht nur, wenn kurz vor Ostern gespielt wird. Bleibt man am Ball, findet man heraus: Schachspielen ist wie Eisenbahn fahren: Wenn man den richtigen Plan hat, kommen auch die passenden Züge. Es erschließt sich die Welt der Taktik: Matt in einem Zug, Matt in zwei, Springergabel, Läuferspieß usw, ein Mikrokosmos der Tücke, den man durch stundenlanges Üben immer besser in den Griff bekommt. Schach ist ein Mannschaftssport, alle zur Party einladen. Sonst hat man noch zwei Faß Bier (die Türme) im Keller und das Fest ist längst zu Ende. Der Kundige spricht vom Entwickeln der Figuren. Am Brett stellt man fest, daß man nie darauf hingewiesen wird, wann denn nun das Matt in fünf Zügen, das den Gegner hinweg fegen soll, möglich ist, wenn überhaupt. Das Taktiktraining erinnert ans Minigolf: Deutlich hat man das Ziel vor Augen, das Loch, in dem der Ball verschwinden soll und aus dem ein Hohngelächter zu tönen scheint, wenn man es zum wiederholten mal nicht geschafft hat, die Hindernisse zu überwinden. Genauso lacht der schwarze König, der, umzingelt von weißen Figuren, immer noch ein Schlupfloch findet. Im Turnier ist mir schnell klar geworden, daß es nicht der virtuos gehandhabte Minigolfschläger ist, der einen in höhere Gefilde bringt. Man sollte ihn dabeihaben (Theodore Roosevelt: „Sprich freundlich und trage einen großen Knüppel bei dir“), er kann sehr nützlich werden, aber das Spiel ähnelt doch mehr einer Schnitzeljagd in unübersichtlichem Gelände. Man muß die Anhaltspunkte finden, die einen Plan erkennbar machen, einen Stadtplan so lesen, daß man auch den Verlauf der Wasser- und Stromleitungen erahnt. Es geht um das Verhältnis von Taktik und Strategie (Schachmeister Tartakower: „Taktik ist, was man tut, wenn was zu tun ist. Strategie ist, was man tut, wenn nichts zu tun ist“). Die nchste Stufe der Einsicht: Die Turnierpartie besteht aus dem Geschehen auf den 64 Feldern und dazu aus der Tagesform der beteiligten Spieler. Eine unglaubliche Melange aus Glück, abwechselnder Errettung durch Wunder, erhörte und verschmähte Stoßgebete, befolgte Ratschläge alter Hasen (Für Insider: „Bring ihn ins Endspiel und anschließend um“), Müdigkeit, Schwarzaus (neudeutsch „blackout“), der aber genauso den Spieler mit den weißen Steinen trifft, und die Einsicht, daß ich selbst mein schwerster Gegner bin mit meiner Überheblichkeit und Verzagtheit. An all das sollte man sich erinnern, wenn man in einer ruhigen Stunde, ausgeruht mit aller Zeit der Welt eine Partie nachspielt und vom Kopfschütteln schwindlig wird. Jetzt bin ich im „hohen Schach“ angekommen, wie man es früher nannte. Und schnell wurde mir klar, daß es eine erfüllende und die Zeit ausfüllende Betätigung ist, ganz so, wie ich es aus meinen aktiven Jahrzehnten als Musiker kenne. Die Vollkommenheit erreicht man im Land hinter dem Regenbogen, aber dort kommt man auch als Vogelscheuche hin, ich muß mir also keine Sorgen machen.


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